Vom Lehrling zum Grossbank-CEO: Sergio Ermotti hat es vorgemacht. Aber wie wird man heute Banker?
Die Banklehre gilt in der Schweiz auch heute noch als Gütesiegel, bekommt aber zunehmend Konkurrenz. Nun erfindet sich die Elitelehre neu.
Sergio Ermotti, Marcel Ospel und Martin Scholl haben ihre Bankkarriere als KV-Lehrlinge begonnen. Oder wie man damals auch sagte: als Stifte. Sie rollten Münz, schnitten Coupons zu und verbrachten ganze Nachmittage mit dem Einsortieren von Belegen in die Kundendossiers. Drei Jahre lang haben sie das Banking von der Pike auf erlernt.
Die Banklehre galt wegen des anspruchsvollen Branchenkunde-Unterrichts immer als eine Art Elitelehre. So nennen sie zumindest Vertreter aus dem Banksektor heute noch selbstsicher. Wer sich in die Untiefen von Zahlungsverkehr, Kredit- und Anlagegeschäft begab, dem winkten später vielversprechende Karriere- und Verdienstmöglichkeiten.
Bankerinnen und Banker waren stolz auf ihren Beruf, und viele blieben der Branche das ganze Berufsleben lang treu. Mit einem weiterführenden vierjährigen Studium an der HWV, der höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule, gutem Networking innerhalb der Bank und harter Arbeit war der Aufstieg gewiss – zumindest im Schweizer Heimmarkt.
Weniger Banklehrlinge
Heute ist die Welt eine andere. Erstens braucht es wegen der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS langfristig weniger Banker in der Schweiz. Zweitens gerät das duale Bildungssystem durch die Akademisierung der Gesellschaft zunehmend unter Druck. Das Schweizer Berufsbildungssystem hat, obwohl es im In- und Ausland in den höchsten Tönen gelobt wird, in der Öffentlichkeit an Ansehen verloren.
Hinzu kommt, drittens, die Internationalisierung des Konkurrenzfeldes: Heute treffen Schweizer Lehrabgänger bei ihrem Arbeitgeber auf amerikanische Banker, die bereits mit 21 Jahren über einen Bachelorabschluss einer Eliteuniversität verfügen. Können sich Banker, die ihre Karriere mit einer KV-Lehre begonnen haben, in diesem Haifischbecken noch behaupten? Ist die Banklehre noch attraktiv genug?
«Das KV und die Banklehre im Besonderen ist bei den Schulabgängern immer noch sehr beliebt», sagt Michèle Rosenheck, Direktorin des Berufs- und Laufbahnzentrums Zürich. Das KV sei in seiner thematischen Breite und gerade auch mit einer Berufsmatur dem Gymnasium von allen Lehren am ähnlichsten.
Auf den ersten Blick ist die Anzahl KV-Absolventen seit dem Jahr 2000 denn auch konstant geblieben. Allerdings ist die Bevölkerung in dieser Zeit gewachsen. Proportional gesehen, ist die Anzahl KV-Absolventen also leicht zurückgegangen.
Die Anzahl KV-Absolventen ist in den letzten drei Jahren gesunken
Noch drastischer ist der Rückgang bei der Anzahl Banklehr-Absolventen. Haben im Jahr 2004 schweizweit noch 1381 Personen ihre Lehre abgeschlossen, waren es im Jahr 2022 nur noch 965. Die UBS führt diese Entwicklung auf die Digitalisierung und die veränderten Kundenbedürfnisse zurück, gleichzeitig seien aber neue Berufsprofile im IT-Bereich oder in der Mediamatik entstanden.
Es mag trivial klingen, aber seit die Kunden ihre Geschäfte vermehrt über E-Banking tätigen, gehen die Kunden weniger an die Schalter. Deshalb haben die Banken in den letzten 20 Jahren Geschäftsstellen geschlossen. Das hat auch Auswirkungen auf das Personal und die Anzahl KV-Lehrstellen.
Zudem haben die Einführung von Servicezentren und die Digitalisierung von Aufgaben im Backoffice dazu geführt, dass einfache Arbeiten, die typischerweise von Lernenden übernommen worden sind, zunehmend wegfallen.
Die Anzahl Banklehr-Absolventen ist seit dem Jahr 2000 um 30 Prozent zurückgegangen
Banklehre rückt näher ans Gymnasium
Vonseiten der Banken ist zu hören, dass sie bis jetzt nie Probleme gehabt hätten, ihre Lehrstellen zu besetzen. Die Nachfrage sei immer noch hoch. Allerdings komme es in den Vorstellungsgesprächen öfter vor, dass sich Bewerber noch nicht sicher seien, ob sie eine Banklehre absolvieren möchten oder doch lieber ans Gymnasium gehen wollten. Die Banklehre steht also zunehmend in Konkurrenz mit dem gymnasialen Weg.
Daher haben die UBS und die Credit Suisse zusammen mit dem KV Zürich den Lehrgang KV BM Fokus konzipiert. Dabei handelt es sich im Grunde um die gleiche Ausbildung wie das KV mit lehrbegleitender Berufsmatur.
Der Unterschied besteht aber darin, dass die Lehrlinge im ersten Jahr Vollzeit zur Schule gehen und erst im zweiten Lehrjahr in die Praxis einsteigen. Die Berufsschule besuchen sie dann bis zum Ende der Lehre nur noch einen Tag pro Woche.
Das Vollzeit-Schuljahr ist aber nicht nur ein gutes Marketingargument, wenn es darum geht, mit dem Gymnasium zu konkurrieren, sondern bringt auch Vorteile für die Banken. So bringen die Lehrlinge bereits gute Französisch- und Englischkenntnisse mit, wenn sie in der Bank die praktische Ausbildung beginnen, und können noch besser im Kundenkontakt eingesetzt werden.
Die erste KV-BM-Fokus-Klasse startete im Jahr 2019. Seit letztem Jahr ist der Lehrgang Teil des regulären Angebots des KV Zürich. Mittlerweile beteiligen sich auch andere Betriebe wie der Versicherungskonzern Zurich oder der Börsenbetreiber Six am neuen KV-Modell.
Und die Nachfrage steigt weiter. Nächstes Jahr gibt es voraussichtlich bereits drei Parallelklassen pro Lehrjahr, und Berufsschulen aus anderen Kantonen prüfen die Einführung des Lehrgangs.
«Ausgelernt» hat ausgedient
Ein Besuch in einer KV-BM-Fokus-Klasse bestätigt, dass junge Menschen die Banklehre durchaus auch heute noch als Startpunkt ihrer Karriere sehen. «Ich werde einmal die erste weibliche CEO der UBS», sagt eine Lernende schmunzelnd, um gleich anzufügen: «Aber möglich wäre das ja theoretisch!»
Und ob es das ist. Das bestätigt auch Eliska Vogt, Leiterin Junior Talent Schweiz bei UBS: «Absolventinnen und Absolventen einer Banklehre sind auf dem Markt immer noch sehr gefragt. Wichtig ist aber die stetige Aus- und Weiterbildung.» Der Begriff «ausgelernt» hat ausgedient.
Das zeigt auch eine Umfrage, die der kaufmännische Verband bei den letztjährigen KV-Absolventen durchgeführt hat. 31 Prozent gaben an, direkt im Anschluss an die Lehre mit einer Weiterbildung begonnen zu haben. Weitere 59 Prozent planen, in Zukunft eine Weiterbildung zu machen.
51 Prozent der KV-Lehrabgänger, die direkt nach der Lehre eine Weiterbildung absolvieren, entscheiden sich für die Berufsmaturität
Gymnasiale Matur (Passerelle)
Bei den Grossbanken absolvieren die meisten Lehrlinge das KV zusammen mit der Berufsmatura. Nach der Lehre studieren viele von ihnen berufsbegleitend an einer höheren Fachschule oder einer Fachhochschule und durchlaufen parallel dazu ein internes Mentoring-Programm.
Hierarchien zwischen den Geschäftsbereichen
Die Banken stellen ihren Nachwuchs aber nicht nur mit dem Angebot von Lehrstellen sicher, sondern vermehrt auch über Trainee-Programme, die sich an Fachhochschul- oder Universitätsabsolventen richten und 12 bis 18 Monate dauern. In dieser Zeit büffeln sie Branchenkunde, die ehemalige Lernende bereits intus haben.
Früher verlieh dieser Vorsprung ehemaligen Lehrlingen Selbstbewusstsein. Hochschulabgänger wurden oft als Grünschnäbel bezeichnet, denen man erst das Kopieren beibringen müsse. Mittlerweile gibt es in Grossbanken aber gleich viele Trainees wie Lehrlinge.
Im Gespräch mit Bankern zeigt sich aber, dass es auch heute immer noch gerne gesehen ist, wenn jemand eine Banklehre absolviert hat. Allerdings leisteten ehemalige Lernende, die keine Fachhochschule absolviert haben, oftmals jahrelang Knochenarbeit im Retail-Banking. In diesem Bereich werden Kunden betreut, die zum Beispiel ein Wertschriftendepot von 150 000 Franken besitzen und oftmals zusätzlich noch eine Hypothek für ihr Haus oder ihre Wohnung aufgenommen haben.
Die Produkte sind daher standardisiert, und Anlagevorschläge müssen selbst erarbeitet werden. Zudem herrscht Verkaufsdruck. Doch auch das Retail-Banking birgt Vorteile. In dieser Geschäftssparte bekommt man in der Regel schneller ein eigenes Kundenbuch oder eine Führungsposition, während man sich in der Vermögensverwaltung (Wealth Management und Asset Management) lange in der Assistenz beweisen muss, bevor man aufsteigen kann.
Wer dann aber erst einmal in der Vermögensverwaltung arbeite, wolle dort nicht mehr weg, sagen Banker. Dort könne man als Kundenberater auf bankeigene Experten zählen. Sie optimieren die Steuerrechnung und die Anlagestrategie der Kunden. Die Produkte dieser Kunden sind massgeschneidert und auch deren Betreuung.
Es geht darum, die Beziehung zum reichen Kunden zu pflegen, also heissen die Kundenberater neudeutsch auch Relationship Manager (RM) – und gehen mit ihren Kunden auch einmal ins Michelin-Restaurant oder ans Champions-League-Final. Wer den direkten Weg in die Vermögensverwaltung oder ins Investment Banking einschlagen wolle, komme mit einem Hochschulabschluss oft schneller ans Ziel.
Heute gibt es also ganz unterschiedliche Ausbildungswege und auch intern zahlreiche Karrieremöglichkeiten. Aber in einem Punkt ist sich die Branche auch heute noch sicher: Ohne Bankausbildung, egal ob Banklehre oder Trainee-Programm, ist es bedeutend schwieriger, eine Stelle in einer Bank zu bekommen. Hingegen sind Absolventen einer Bankausbildung auch in anderen Branchen sehr gefragt. Mit dieser Ausbildung gewinnt man also fast immer.
Author: Rebecca Wheeler
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